Am Abend des letzten Apriltages wurde es in unseren Dörfern und Städtchen auch früher schon lebendig. Auf dem Schulplatz versammelte sich die heranwachsende männliche Jugend.

Nach kurzer Beratung wurde ein Scholthes (Anführer) gewählt der das Regiment übernahm. Die jungen Burschen wurden eingeteilt. Ein Trupp fuhr hinaus zum Waldrand, um einen großen Maibaum zu holen, eine man schon vorher ausgesucht und zurechtgestutzt hatte. Dazu gehörte noch eine schöne, lichtgrüne Birke. Andere erhielten den Auftrag, mit Pickel und Schaufel ein angemessen tiefes Loch auszuheben, in dem der Baum zu stehen kam.

Die jungen Mädchen hatten einen Kranz geflochten, bunte Bänder zurechtgeschnitten und Eierschalen (Fruchtbarkeitssymbol) gefärbt. Diese wurden auf Kordeln aufgezogen, um die Birke damit zu schmücken, die dann an das obere Ende des Stammes gebunden wurde.

Gegen Mitternacht war es soweit: Mit viel Hau-Ruck, Seilen und Leitern wurde der Maibaum aufgerichtet und festgekeilt. Zum Klang der Mundharmonika erschallten Lieder die verkündeten, dass der Mai gekommen war. Da nun ein schöner, hoher Maibaum die Jungmänner der Nachbardörfer reizte, ihn für das eigene Dorf zu stellen, wurden Wachen eingeteilt, die jeden Überfall verhindern sollten. Inzwischen stärkten sich die anderen an den von den Maimädchen gestifteten Eierkuchen und Schnaps. Dann folge das wie mittelalterliche Romantik anmutende "Maienstecken".

Die Jungen schmückten mit grünen Ästen, die mit roten und gelben Bändern geziert waren, die Häuser der heiratsfähigen Weiblichkeit. Es waren manchmal recht schwierige und halsbrecherische Kletterpartien, die erforderlich waren, um die Zweige an den Dachrinnen oder Schornsteinen anzubringen. Fast eine Stunde lang war es ganz ruhig im Dorf. Man sah nur kleine Grüppchen mit Leitern umherschleichen. Aber nach dieser Ruhe begann die Burschenschaft, wie sich die jungen Leute nannten, zu "spuken". Fensterläden und Gartentüren wurden ausgehoben, Spaten, Besen, Eimer und was sonst nicht sicher von leichtsinnigen Leuten untergebracht war, wurde zusammengetragen und am Fuße des Maibaums aufgestellt. Ackergeräte, Karren und Ketten vervollständigen das Bild.

Meist begann schon die Sonne auf zu gehen, als die Nachtarbeiter müde in die Betten sanken, um noch ein Stündchen zu schlafen. Schon früh am Morgen des Maitages öffneten sich ganz leise manche Fenster und die Augen junger Mädchen richten sich voller Stolz auf die bunten Maien, die man ihnen gesteckt hatte.

Die Trina vermisst ihren Besen und holte ihn, auf die Dorfjugend schimpfend, am Maibaum ab. Wenn beim Ortsvorsteher der Herd nicht brennen will, dann ist der Kamin sicherlich mit einem Dachziegel zugedeckt.

Die am ersten Mai geltenden Bräuche sind aber örtlich sehr verschieden. Hier zieht man mit Musik durchs Dorf, dort fährt man zum Ärger der Schlafsuchenden mit Ackerwalzen über das Straßenpflaster. In einzelnen Dörfern werden in der Linnerschaft noch die Mailinge versteigert. Dabei zitiert man lustige Verse und singt Lieder auf die Mädchenschar, deren Vereinigung als Rosengarten bezeichnet wird.

Wer sollte sie nicht kennen! In anderen Ortschaften tanzt man zuerst unter dem Maibaum und dann auf dem Tanzboden weiter. Vereinzelt wird noch die Maikönigin gekürt, oder es lodert auf den Höhen das Maifeuer auf. Wie es auch immer sei, dem Maibaum haftet eine gewisse Zuneigung an, und wen freut es nicht, am sonnigen Maimorgen die mit flatternden bunten Bändern prächtig und liebevoll gezierten Sträuße auf den Dächern zu sehen!

Die Vielzahl und Mannigfaltigkeit der Maibräuche deuten darauf hin, dass früher am 1. Mai ein großes Fest gefeiert wurde, von dem sich Reste erhalten haben. Da aber in christlicher Zeit von einem solchen Maifest nichts bekannt ist, muss es vor dieser Zeit zu suchen sein.

Etwa seit dem Jahre 500 vor Chr. wohnten hier die Kelten. Die Kelten kannten entsprechend den vier Jahreszeiten auch vier große Feste, die mehrere Tage lang andauerten. Sie werden als feis (= Fest), aber auch als óenach (= Zusammenkunft) bezeichnet. Höhepunkte dieser Zusammenkünfte waren der 1. Februar, der 1. Mai, 1. August und bei Winteranfang der 1. November. Das hier interessierende am 1. Mai stattfindende Frühlingsfest wurde als Beltene (= glänzendes Feuer) bezeichnet.

Bei dieser Feier nahm das Feuer eine hervorragende Stelle ein, das ja im Glauben der alten Völker schon immer eine bedeutende Rolle gespielt hat. Es war ihnen heilig als Herdfeuer und galt als das beste Mittel zur Vertreibung von Dämonen und bösen Geistern. Die Überlieferung besagt, dieses Fest bewahre die Erinnerung an die erste Phase der Eroberung Irlands, und zwar an jene der Söhne Partholons; von ihnen sei das erste Feuer, nämlich das von Uisnech, angezündet worden. Der Mythos will wissen, an diesem Tage seien die von der Urmutter Dana abstammenden Götter in Irland gelandet und hätten ihre Schiffe hinter sich verbrannt.

Es heißt, beim Anzünden der großen Feuer hätten die Druiden (keltische Priester) eine besonders wichtige Aufgabe gehabt, und das Vieh sei durch die Feuer hindurch getrieben worden, um Seuchen vorzubeugen und es vor Krankheit verursachenden Zaubermächten zu schützen. Im jetzigen Volksbrauch lebt das Fest noch fort. Man trifft besondere Maßnahmen gegen Behexung, da um diese Zeit die Feen sehr wirksam sein sollen.

Die Bräuche beim keltischen Maifest haben sich dann später in christlicher Zeit über den ganzen Osterfestkreis, der sich vom Sonntag Septuagesima bis Samstag nach Pfingsten erstreckt, verteilt. Die großen Feuer sind bei unserer jetzigen Maifeier bis auf wenige Reste verschwunden, aber ihre unmittelbare Fortsetzung sind die auch heute noch alljährlich auflodernden Osterfeuer. Auch das Aufstellen des Baumes erfolgt mancherorts zu Pfingsten (Pfingstmaibaum), ebenfalls die Kronfeier. Auf Draht gereihte Eierschalen, mit Blumen und Bändern geschmückt, bilden die Krone, die über einer Straßenkreuzung aufgehängt wird. Man singt und tanzt darunter.

Die Errichtung des Maibaums zu Anfang der warmen Jahreszeit hatte ein urverwandtes Gegenstück in Indien. Dort gab es ein sehr altes Baumfest, und heute noch gilt seine Fortsetzung als traditionelle Volksbelustigung. Nach einer mythischen Sage wurde von Visnu, dem jüngeren Bruder des indischen Gottes Indra (er war Fruchtbarkeits- und Ackergott), den Himmlischen, als sie im Kampf mit den Asuras standen, der Indrabaum geschenkt.

Der Kampf der indischen Götter untereinander ging um den Besitz der Welt. Die meisten Götter hielten sich an Ordnung und Wahrheit, die arroganten Asuras aber an das Gegenteil. So wurden sie, die im Kampf unterlagen. zu Götterfeinden. Ihr Charakter veränderte sich dämonenhaft, und ihnen gehörte die Finsternis. Der geschenkte Indrabaum sollte den Göttern im Kampf gegen die Asuras helfen, denn sein bloßer Anblick genügte, Dämonen zu vernichten.

 Das vorgenannte Fest, Indrastandorte genannt wird in der ältesten indischen Literatur, den Sanskrittexten, beschrieben. Die Übersetzung lautet: "Zu Ehren Indras wurde im Frühling ein mit Laub, Blumen, Kränzen, Wohlgerüchen, Bändern, Kuchen und anderen Glück bringenden Gegenständen behängter Baum, nachdem er unter großen Feierlichkeiten aus dem Walde geholt worden war, aufgepflanzt.

Die vielen Menschen, die ihn bei der Einholung begleitet haben, tanzen um ihn herum; man verehrt ihn und stellt ein Bildnis des Indra an seinen Fuß. Die Burschen bringen grüne Zweige zu den Häusern ihrer Geliebten, oder stecken sie in die Dächer der Gehöfte und wünschen in Liedern den Bauern alles Gute. Wünsche für eine glückliche Zeit und Vedarezitationen (Veda = älteste religiöse Literatur Indiens) hört man allenthalben, die Straßen sind voller Tänzer, Sänger und Schauspieler.

Der Baum bringt dem Hofe oder dem Dorfe Segen, weil er, aufgerichtet, die ihm innewohnende Wachstumskraft weit und breit ausstrahlt. Indra hat versprochen, dass diejenigen, die sein Fest mit Freuden feiern, Glück und Sieg erlangen werden und dass das Bauernland reichlich gedeihen solle." Daraus ist zu entnehmen, dass die Aufrichtung des Baumes ein uralter indischer Fruchtbarkeitskult war. Dieser wurde von den Kelten übernommen, die ihn dann vor rund 2500 Jahren im Rahmen ihres Frühlingsfestes mit nach Westeuropa brachten.

Vielleicht war er auch schon früher durch andere indogermanische Stämme hierher gekommen. Jedenfalls gehört die Maibaumfeier mit zu dem ältesten noch bestehenden Brauchtum, das auf einem vorchristlichen Fruchtbarkeitskult beruht.